Im Westen nichts Neues? – Die Q1 auf Spurensuche an der ehemaligen Westfront
Nach langer Corona-bedingter Pause machten sich die Annette-Geschichtskurse der Jahrgangsstufe Q1 endlich wieder auf den Weg nach Péronne. Der kleine, rund 8.000 Seelen-Ort im Department Somme im Norden Frankreichs war während des Ersten Weltkrieges lange Rückzugsort der deutschen Truppen an der Westfront und die Region rund um den Fluss Somme Schauplatz der größten und zugleich verlustreichsten Schlacht des Ersten Weltkrieges. Er bot uns damit einen idealen Ausgangspunkt für unser Geschichtserlebnis der besonderen Art.
Der Besuch des Museums
Das Historial de la Grande Guerre, ein Museum, das in Zusammenarbeit von australischen, britischen, französischen und deutschen HistorikerInnen nicht nur eindrucksvoll die Kriegserlebnisse, Waffentechnik und Politik der (Vor- und Nach-) Kriegszeit, sondern auch die Kriegserlebnisse aus der Sicht aller beteiligten Kriegsparteien darstellt, befindet sich inmitten der alten Schlossruinen in Péronne.
„Vor allem die ausgestellten originalen Waffen, Uniformen und Ausstattungen, die sich im Museum nicht hinter einer Glaswand, sondern frei im Raum befanden, ermöglichten einen direkten Zugang und veranschaulichten den Kriegsalltag auf besondere Weise“, staunt eine Schülerin des Geschichte-Leistungskurses.
Stellungskrieg und Materialschlacht - Geschichte erfahrbar machen
Die Region entlang der Somme ermöglicht einen außergewöhnlichen und unmittelbaren Zugang zu den Kriegserlebnissen des „Grande Guerre“ oder „Great War“, wie der Erste Weltkrieg im französischen und englischen Sprachraum genannt wird. Dies wurde für die meisten SchülerInnen besonders durch die Begehung der ehemaligen Schlachtfelder erfahrbar gemacht.
„Ich hätte nicht gedacht, dass die Schützengräben nach über 100 Jahren Kriegsende immer noch so deutlich in der Landschaft zu erkennen sind und es war äußerst beklemmend durch sie durchzulaufen.“, äußerte sich ein Schüler sichtlich berührt.
Der Besuch des Newfoundland Memorial in Beaumont-Hamel zeigte gleich zweierlei: Zum einen die tatsächliche Dimension des Weltkrieges, denn die 34 Hektar Land erwarb das ehemalige britische Dominion nach Kriegsende und so standen wir, eigentlich in Frankreich, doch plötzlich auf kanadischem Grund und Boden. Zum anderen veranschaulicht dieser Ort die grausamen Auswirkungen industrieller Kriegsführung wie kaum ein zweiter. Hier trat das erste Newfoundland Regiment am 1. Juli 1916 zum Kampf an, nachdem man nach einwöchigem Artilleriebeschuss im Glauben war, die deutschen Stellungen maßgeblich zerstört zu haben. Die Konsequenz dieses fatalen Irrglaubens zeigte sich nach nur 30 Minuten, als lediglich 11% des Regiments unversehrt in die eigenen Stellungen zurückkam. Von 801 Soldaten wurden 324 getötet und mehr als 380 verwundet. Langsam verstanden wir, warum der 1. Juli 1916, der Beginn der Somme-Schlacht, den bis heute blutigsten Tag der britischen Militärgeschichte markiert.
„Da wurde uns erst bewusst, dass wir quasi auf einem Massengrab stehen“, äußerten sich einige SchülerInnen. Doch der Boden des Memorials ist nicht nur Grabstätte für Soldaten, denen man kein personalisiertes Grab zukommen lassen konnte. Schätzungen zufolge befinden sich allein in diesen 34 Hektar Land noch über 500.000 ungeborgene Granaten und andere Munition.
Schrappnellkugeln, Granatsplitter und alte Schuhsohlen - Traurige Geschichte zum Anfassen
Die Auswirkungen der Materialschlachten prägen die landwirtschaftliche Region rund um die Somme noch heute. Man geht davon aus, dass an der Westfront etwa eine Tonne Munition pro Quadratmeter verschossen wurde und so stießen wir bei der Feldbegehung in Pozières nach nur kurzer Zeit auf die ersten Überreste.
Von Juli bis September 1916 kämpften hier vorrangig australische Divisionen. Aufgrund der ebenfalls hohen Verluste und traumatischen Kriegserfahrungen, ist (die Schlacht von) Pozières bis heute zutiefst in der australischen Erinnerungskultur verankert. Zu Ehren der Gefallenen wurden sogar Dörfer in Australien nach den Kriegsschauplätzen benannt. Pozières, Beaumont oder Amiens sind somit auch „Down Under“ zu finden.
Da die Region rundum die Somme vor allem landwirtschaftliche Nutzfläche war (und bis heute ist), versuchte man das umkämpfte Land möglichst schnell wieder nutzbar zu machen und die unzähligen Überreste wurden damit nur oberflächlich beseitigt. Obwohl wir nur ca. 10 Minuten vorsichtig auf dem Acker, der das einstige Schlachtfeld um Pozières markierte, umhersuchten, fanden wir Unmengen an Schrappnellkugeln, Granatsplittern oder persönlichen Gegenständen des Kriegsalltags. Diese sind als mahnende eiserne Ernte nun in unserem Schaukasten bei B102 ausgestellt.
Abschließend besuchten wir das Thiepval Denkmal, die wichtigste britische Gedenkstätte in Frankreich, die jährlich von über 160.000 Menschen besucht wird. Der 1932 entworfene Bogen erinnert vor allem an die über 72.000 an der Somme gefallenen, jedoch nicht geborgenen Soldaten des British Empire. „Überall wo man hingeschaut hat, waren Namen gefallener Soldaten im Denkmal eingraviert. Die Listen schienen gar kein Ende zu nehmen“, stellte Ella Köster beklemmend fest.
Andere SchülerInnen realisierten insbesondere, wie wichtig und zentral das Gedenken an den Ersten Weltkrieg in anderen ehemals beteiligten Ländern bis heute ist. In Deutschland ist die Erinnerungskultur wegen des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust in den Hintergrund geraten. Gerade deshalb war es uns auch ein Bedürfnis, ein Zeichen des Erinnerns am Thiepval Memorial zu hinterlassen und legten ein Rememberance Cross nieder.
Eine bewegende Fahrt – Was bleibt? Stimmen der Q1:
„Die Fahrt an die Somme war für mich besonders beeindruckend, weil man Geschichte mal vor Ort, am tatsächlichen Ort des Geschehens, erleben konnte. Das hatte eine ganz andere Wirkung auf mich, die Quellen in einem Geschichtsbuch gar nicht vermitteln können.“
„Ich hatte mir auf der Busfahrt extra noch die Neuverfilmung von „Im Westen nichts Neues“ angeschaut. Dies half mir, mich in das, was mich dort erwartete, etwas einzufühlen.
Der grausame Alltag im Schützengraben, die ungeheuren Materialschlachten, die Sinnlosigkeit des Krieges. Wenn man dort dann vor hunderten von Grabsteinen steht, die Namen der Vermissten und Gefallenen liest, weiß man den Frieden und die Freiheit unserer Zeit noch einmal mehr zu schätzen.“
„Vor Ort zu sein war für mich schockierend und beeindruckend zugleich. Dort hat die Realität des Krieges für mich ganz neue Tiefen gewonnen und diese Eindrücke werden mir nachhaltig in Erinnerung bleiben.“
„Mir wurde insbesondere die Dimension des Weltkrieges sowie die unterschiedlichen Erinnerungskulturen deutlich. Mitten in den Feldern Nordfrankreichs gibt es unzählige irische, australische, britische, französische oder südafrikanische Denkmäler und die Gedenkstätten und Veranstaltungen zeigen, wie wichtig der Erste Weltkrieg im kollektiven Gedächtnis dieser Nationen verankert sind.
„Natürlich war mir vorher schon klar, dass der Erste Weltkrieg Millionen Tote gefordert hatte. Doch die ganzen Namen auf den Denkmälern zu sehen hat es mir viel besser vor Augen geführt. Jeder Name steht für einen Mensch. Für ein Schicksal, das viel zu früh ein Ende im Kriege gefunden hat.“